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Polyphenole und wie sie das Mikrobiom beeinflussen

  • Autorenbild: Sonja Speck
    Sonja Speck
  • vor 7 Minuten
  • 4 Min. Lesezeit
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Wenn wir im funktionellen Kontext von Gesundheit sprechen, beginnt fast alles im Darm – und genau hier werden Polyphenole besonders interessant. Viele kennen sie als Antioxidantien, aber der eigentliche Effekt entsteht im Zusammenspiel mit unseren Darmbakterien und der Darmbarriere.

In diesem Blogbeitrag geht es darum, was mit Polyphenolen im Darm passiert, wie sie das Mikrobiom beeinflussen, welche Rolle sie für Entzündungen und die Darmbarriere spielen und wie man sie im Alltag gezielt nutzen kann.


Was sind Polyphenole?

Polyphenole sind sekundäre Pflanzenstoffe, also eine große Gruppe von Verbindungen, die Pflanzen zur eigenen Abwehr und Regulation bilden: Schutz vor UV-Licht, Fressfeinden, Infektionen oder anderen Stressfaktoren.


Sie kommen in vielen alltäglichen Lebensmitteln vor, zum Beispiel in:

  • Beeren, Trauben, Äpfeln, Granatapfel

  • Gemüse wie Zwiebeln, Rotkohl, Brokkoli, Artischocken

  • Oliven und Olivenöl

  • Nüssen und Samen

  • Kräutern und Gewürzen

  • Tee, Kaffee und Kakao

Je intensiver Farbe und Aroma eines pflanzlichen Lebensmittels, desto häufiger sind Polyphenole beteiligt.


Welche Wirkung haben Polyphenolen im Darm?

Nur ein kleiner Teil der Polyphenole wird direkt im Dünndarm aufgenommen. Der Großteil passiert den Dünndarm weitgehend unverändert und gelangt in den Dickdarm. Dort werden sie von der Darmmikrobiota weiterverarbeitet.

Darmbakterien spalten Zuckerreste ab, bauen komplexe Polyphenole in kleinere Moleküle um und erzeugen daraus Metaboliten, die teilweise besser absorbiert werden und oft eine eigene, zum Teil stärkere biologische Aktivität besitzen als die Ausgangsverbindung.

Ein Beispiel hierfür sind Urolithine, die aus ellagitanninreichen Lebensmitteln wie Granatapfel, Walnüssen oder bestimmten Beeren gebildet werden. Diese mikrobiell gebildeten Metaboliten können dann systemisch wirken und z. B. Entzündungswege, Mitochondrienfunktion und Barrierefunktionen beeinflussen.

Polyphenole und Mikrobiom

Die Beziehung zwischen Polyphenolen und dem Mikrobiom ist wechselseitig:

  • Die Zusammensetzung und Aktivität der Darmbakterien bestimmt, welche Polyphenolmetaboliten überhaupt entstehen und in welcher Menge.

  • Polyphenole beeinflussen umgekehrt die Zusammensetzung des Mikrobioms und das Milieu im Darm.

Studien und Übersichtsarbeiten zeigen unter anderem:

  • Polyphenole können das Wachstum potenziell günstiger Bakterien wie Bifidobakterien und Laktobazillen fördern.

  • Sie können das Wachstum bestimmter potenziell problematischer Keime reduzieren.

  • Sie wirken damit präbiotisch, auch wenn sie keine klassischen Ballaststoffe sind.

In Humanstudien mit polyphenolreichen Lebensmitteln oder Extrakten wurde mehrfach gezeigt, dass sich die Darmflora messbar verändert und sich häufig auch die Bildung kurzkettiger Fettsäuren (SCFAs) wie Butyrat erhöht. Diese Fettsäuren sind wichtig für die Energieversorgung der Epithelzellen im Dickdarm und für eine gesunde Schleimhaut.


Polyphenole und Darmbarriere

Die Darmbarriere besteht aus der Schleimschicht, den Epithelzellen mit ihren Tight Junctions und dem darunter liegenden Immunsystem. Wird diese Barriere durchlässiger, spricht man häufig von einer erhöhten Darmpermeabilität.

Bestimmte Polyphenole konnten in experimentellen Modellen:

  • die Expression von Tight-Junction-Proteinen verbessern

  • oxidativen Stress in der Darmschleimhaut reduzieren

  • die Integrität der Barriere stabilisieren

Untersucht wurden dabei unter anderem Polyphenole aus Tee, Trauben, Äpfeln oder Hafer. In Tier- und Zellmodellen wurden eine verbesserte Barrierefunktion und eine Reduktion entzündlicher Marker nach polyphenolreicher Intervention beobachtet.

Zusammengefasst tragen Polyphenole dazu bei, die Schleimhaut zu schützen, oxidativen Stress zu verringern und die „Dichtigkeit“ der Darmwand zu unterstützen.

Polyphenole, Entzündung und chronische Darmerkrankungen

In Modellen für entzündliche Darmerkrankungen (z. B. experimentelle Colitis) zeigen verschiedene Polyphenole und polyphenolreiche Extrakte, dass sie:

  • proinflammatorische Zytokine senken

  • entzündliche Signalwege wie NF-κB modulieren

  • die Schwere und Ausprägung der Entzündung reduzieren können

Diese Effekte sind zum Teil auf eine Veränderung der Mikrobiota, zum Teil auf direkte Wirkungen an Epithelzellen und Immunzellen zurückzuführen.

Das bedeutet nicht, dass Polyphenole allein entzündliche Darmerkrankungen heilen. Sie können aber ein wichtiger Baustein in einem antiinflammatorischen Gesamtkonzept sein – zusammen mit Ballaststoffen, Fettsäuren (z. B. Omega-3), Stressmanagement, Bewegung und ggf. weiterer Therapie.


Postbiotika aus Polyphenolen

Ein wichtiger Aspekt sind die sogenannten Postbiotika – also Stoffe, die durch die Aktivität von Mikroorganismen entstehen. Urolithin A ist ein prominentes Beispiel aus der Polyphenolforschung.

Urolithin A wird von bestimmten Darmbakterien aus Ellagitanninen gebildet und kann in Studien:

  • Prozesse der Mitophagie (Abbau alter Mitochondrien) anregen

  • Signalwege beeinflussen, die für Schleimhautregeneration und Immunantwort wichtig sind

  • die Barrierefunktion und entzündliche Prozesse im Darm modulieren

Interessant ist, dass nicht jeder Mensch diese Metaboliten im gleichen Ausmaß bildet. Es gibt verschiedene sogenannte Metabotypen, je nachdem, welche Bakterienarten im Darm vorhanden sind. Das erklärt, warum Menschen unterschiedlich stark von den gleichen polyphenolreichen Lebensmitteln profitieren können.


Polyphenole als „neue“ Präbiotika?

Traditionell bezeichnet man unverdauliche Ballaststoffe als Präbiotika, weil sie das Wachstum bestimmter Bakterien fördern. Inzwischen wird diskutiert, Polyphenole als eine Art „neue Klasse“ präbiotischer Substanzen zu verstehen, da sie:

  • selektiv das Wachstum günstiger Mikroorganismen fördern

  • das mikrobielle Ökosystem modulieren

  • stark im Zusammenspiel mit der Mikrobiota wirken

Neuere Reviews fassen zusammen, dass polyphenolreiche Interventionen beim Menschen das Mikrobiom positiv beeinflussen, die SCFA-Produktion erhöhen und Entzündungs- sowie Barriereparameter günstig verändern können. Art des Polyphenols, Lebensmittelmatrix, Dauer und Ausgangslage des Darms spielen dabei eine große Rolle.


Praktische Empfehlungen: Polyphenole im Alltag für den Darm nutzen

In der funktionellen Praxis gilt in der Regel: Ernährung zuerst, Supplemente nachrangig. Polyphenolreich zu essen bedeutet nicht, exotische Produkte kaufen zu müssen, sondern vorhandene Lebensmittel bewusst zu kombinieren.

Alltagstaugliche polyphenolreiche Quellen sind zum Beispiel:

  • dunkle Beeren (frisch oder tiefgekühlt)

  • Granatapfel, rote Trauben, Äpfel mit Schale

  • Rotkohl, Grünkohl, Brokkoli, Artischocken

  • Zwiebeln, Lauch, Knoblauch

  • Leinsamen, Walnüsse, andere Nüsse

  • Oliven und hochwertiges Olivenöl

  • frische Kräuter wie Petersilie, Oregano, Thymian, Rosmarin, Basilikum

  • Gewürze wie Kurkuma, Ingwer, Zimt, Kreuzkümmel, Nelken

  • grüner, schwarzer und weißer Tee, Kräutertees, Kaffee

  • Kakao in guter Qualität

Sinnvoll ist es, Polyphenole mit Ballaststoffen und gesunden Fetten zu verbinden, da diese Kombination das Mikrobiom und die Resorption zusätzlich unterstützt.


Worauf sollte man bei Polyphenolen achten

  • Eisen: Sehr polyphenolreiche Getränke wie stark aufgebrühter Tee oder Kaffee direkt zu eisenreichen Mahlzeiten können die Eisenaufnahme mindern. Bei bestehendem oder grenzwertigem Eisenmangel sollten solche Getränke eher zwischen den Mahlzeiten konsumiert werden.

  • Unverträglichkeiten: Menschen mit Histamin-, Salicylat- oder bestimmten Fruktose-/FODMAP-Problematiken reagieren nicht auf alle polyphenolreichen Lebensmittel gleich gut. Hier sind individuelle Anpassungen wichtig.

  • Hochdosierte Extrakte: Isolierte Polyphenol-Extrakte in hoher Dosis (z. B. Grüntee-Extrakt) können Nebenwirkungen haben, unter anderem auf die Leber und das Medikamentenstoffwechsel-System. Die Einnahme sollte grundsätzlich mit einem Arzt oder Therapeuten besprochen werden.


Fazit

Polyphenole sind ein zentraler Baustein für einen gesunden Darm und ein stabiles Mikrobiom. Sie werden im Dickdarm von Bakterien zu bioaktiven Metaboliten umgebaut, wirken präbiotisch, unterstützen die Darmbarriere und helfen, stille Entzündungsprozesse im Darm zu modulieren.

Wie stark diese Effekte ausfallen, hängt von der individuellen Darmflora, der gesamten Ernährung und dem Lebensstil ab. Eine vielfältige, pflanzenbetonte, polyphenolreiche Ernährung ist daher ein logischer Grundpfeiler in darmzentrierten, funktionellen Gesundheitskonzepten.





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