Kurzkettige Fettsäuren als Viren-Bodyguards: Was eine neue Review-Studie über Darm, Mikrobiom und Immunabwehr zeigt
- Sonja Speck
- 16. Nov.
- 4 Min. Lesezeit

Der Zusammenhang zwischen Darm und Immunsystem ist vielen bekannt. Spannend an der aktuellen Forschung ist, dass immer genauer untersucht wird, welche Stoffwechselprodukte der Darmbakterien dabei eine Schlüsselrolle spielen. Besonders im Fokus stehen die kurzkettigen Fettsäuren, im Englischen short-chain fatty acids (SCFAs) genannt.
Eine neue große Review-Studie aus dem Jahr 2025 fasst zusammen, wie SCFAs die antivirale Immunabwehr beeinflussen können und über welche Signalwege dieser Effekt zustande kommt. Sie ordnet gleichzeitig ein, welche Möglichkeiten und Grenzen sich daraus für Prävention und künftige Therapieansätze ergeben.
Kurzkettige Fettsäuren: was dahintersteckt
SCFAs entstehen vor allem im Dickdarm, wenn Darmbakterien Ballaststoffe und andere nicht vollständig verdaubare Kohlenhydrate fermentieren. Die wichtigsten Vertreter sind Acetat, Propionat und Butyrat.
Diese Moleküle sind deutlich mehr als nur eine zusätzliche Energiequelle für Darmzellen. Sie haben mehrere Funktionen, die für die Immunabwehr und die Schleimhautgesundheit bedeutsam sind:
Sie beeinflussen die Stabilität der Darmbarriere, also wie intakt die Schleimhaut ist. Sie modulieren Entzündungsprozesse, indem sie in Signalwege von Immunzellen eingreifen. Sie können die Aktivität von T-Zellen, B-Zellen und Zellen des angeborenen Immunsystems verändern.
SCFAs wirken dabei unter anderem über G-Protein-gekoppelte Rezeptoren an der Zelloberfläche, über epigenetische Mechanismen und über Veränderungen im zellulären Energiestoffwechsel. Ein Teil der im Darm gebildeten SCFAs gelangt über das Blut auch in andere Organe.
Worum es in der neuen Review-Studie geht
Die neue Review-Studie aus dem Jahr 2025 nimmt gezielt die antiviralen Effekte von SCFAs in den Blick. Die Autorinnen und Autoren haben eine große Zahl von Tierexperimenten, Zellkulturarbeiten und ausgewählten Humanstudien ausgewertet und systematisch zusammengetragen, über welche Mechanismen SCFAs die Abwehr von Viren beeinflussen.
Im Mittelpunkt stehen dabei drei Bereiche:
Rezeptorvermittelte Signalwege über G-Protein-gekoppelte Rezeptoren
epigenetische Effekte, insbesondere über Histon-Deacetylasen
Veränderungen im Stoffwechsel von Immun- und Schleimhautzellen
Aus funktionell-medizinischer Sicht interessant ist, dass die Studie nicht nur einzelne Effekte betrachtet, sondern versucht, ein Gesamtbild zu zeichnen: vom Darmmilieu über die bakterielle Zusammensetzung bis hin zu konkreten Auswirkungen auf die Reaktion des Immunsystems bei Virusinfektionen.
Wie SCFAs laut Review in die Virenabwehr eingreifen
Die Review-Studie beschreibt mehrere Ebenen, auf denen SCFAs ansetzen.
Erstens geht es um die Barrierefunktion der Darmschleimhaut. Eine gut versorgte Schleimhaut mit ausreichender Butyrat-Versorgung zeigt in vielen Arbeiten eine stabilere Struktur der Tight Junctions, also der Verbindungsstellen zwischen den Zellen. Das kann dazu beitragen, dass Viren und andere Erreger schwerer in tiefere Schichten eindringen und systemische Entzündungsreaktionen auslösen.
Zweitens werden Signalwege der angeborenen Immunantwort beschrieben. SCFAs können die Aktivität von Makrophagen, dendritischen Zellen und natürlichen Killerzellen beeinflussen. Dabei geht es sowohl um die Erkennung viraler Strukturen als auch um die Freisetzung von Botenstoffen, die andere Immunzellen ansteuern. Ein wichtiger Punkt der Review ist, dass SCFAs helfen können, eine übermäßige, gewebeschädigende Entzündungsreaktion zu bremsen, ohne die Abwehr komplett zu blockieren.
Drittens spielt die Interferonantwort eine Rolle. Interferone sind zentrale Botenstoffe der antiviralen Abwehr. Die Review fasst Arbeiten zusammen, in denen SCFAs die Empfindlichkeit von Zellen gegenüber Interferonsignalen oder die Aktivierung interferonabhängiger Gene beeinflusst haben. Dadurch kann sich ändern, wie schnell und wie effektiv Zellen auf einen viralen Angriff reagieren.
SCFAs wirken dabei nicht nur im Darm. Über den Blutkreislauf erreichen sie auch andere Organe, etwa die Atemwege. Das eröffnet die Brücke zur Darm-Lungen-Achse und der Frage, wie der Darm indirekt die Anfälligkeit für Atemwegsinfekte mitprägt.
Verbindung zur Darm-Lungen-Achse
Parallel zu der neuen Review sind in den letzten Jahren mehrere Arbeiten erschienen, die die Darm-Lungen-Achse genauer beleuchten. Sie beschreiben, dass Veränderungen im Darmmikrobiom und in der SCFA-Produktion mit einer veränderten Immunlage in der Lunge einhergehen können.
In diesen Arbeiten zeigen sich unter anderem folgende Zusammenhänge:
Darmdysbiosen und niedrigere SCFA-Spiegel stehen häufiger mit einer erhöhten Anfälligkeit für Atemwegsinfektionen und mit ungünstigen Entzündungsantworten in der Lunge in Verbindung. SCFAs können in experimentellen Modellen die Barrierefunktion der Atemwegsschleimhaut stabilisieren und die Aktivität von Immunzellen im Lungengewebe beeinflussen. Ernährungs- und Lebensstilfaktoren, die das Darmmikrobiom unterstützen, werden als möglicher Weg diskutiert, um die Abwehrkraft an den Atemwegen langfristig zu stärken.
Die neue Review-Studie zu SCFAs als antivirale Mediatoren fügt sich in dieses Bild ein, indem sie die Mechanismen hinter diesen Beobachtungen genauer beschreibt und so die Verbindung zwischen Darm, Stoffwechselprodukten und Immunantwort plausibler macht.
Praktische Konsequenzen für die funktionelle Medizin
Aus der neuen Review und den ergänzenden Übersichtsarbeiten lassen sich wichtige therapeutische Ansätze ableiten.
Erstens unterstreicht die Studie die Bedeutung einer Lebensweise, die die Darmflora und ihre Stoffwechselaktivität unterstützt. Dazu gehören zum Beispiel eine ballaststoff- und pflanzenreiche Ernährung, ausreichend Vielfalt auf dem Teller und der möglichst sparsame Umgang mit stark verarbeiteten Lebensmitteln.
Zweitens rückt die Darmbarriere in den Fokus. Faktoren wie chronischer Stress, Schlafmangel, hoher Alkoholkonsum oder bestimmte Medikamente können die Schleimhaut strapazieren. Die Review macht deutlich, dass eine stabile Schleimhaut Voraussetzung dafür ist, dass SCFAs ihre positiven Effekte voll entfalten können.
Drittens zeigt sich, dass ein genauerer Blick auf die individuelle Situation sinnvoll ist. Nicht jeder Mensch profitiert in gleicher Weise von denselben Maßnahmen. Vorerkrankungen, Stoffwechsellage, Medikamenteneinnahme und aktuelle Beschwerden spielen eine Rolle, wenn entschieden wird, welche Schritte für eine Person geeignet sind.
Viertens liefert die Studie eine Grundlage dafür, warum Ernährungs- und Darmprogramme in der Praxis bei Infektanfälligkeit, wiederkehrenden Schleimhautproblemen oder chronischer Entzündungsneigung hilfreich sein können.
Fazit
Die neue Review-Studie zu kurzkettigen Fettsäuren als antiviralen Mediatoren des Darmmikrobioms zeigt eindrücklich, wie eng Darmbakterien, ihre Stoffwechselprodukte und die Immunabwehr miteinander verknüpft sind. SCFAs wirken nicht nur lokal im Darm, sondern greifen über verschiedene Signalwege in die Regulierung von Entzündungsreaktionen und in die Abwehr von Viren ein.
Für die funktionelle Medizin bestätigt das den Ansatz, bei Infektanfälligkeit und Schleimhautproblemen gezielt auf Darmmilieu, Barrierefunktion und Ernährung zu achten.
Wer diese Erkenntnisse ernst nimmt, landet nicht bei der Hoffnung auf eine einzelne Tablette, sondern bei einem individuellen, alltagstauglichen Konzept, das Darm, Immunabwehr und Lebensstil gemeinsam betrachtet.
Diese Erkenntnisse laden dazu ein, Darm, Immunsystem und Lebensstil nicht getrennt zu betrachten, sondern als zusammenhängendes System zu verstehen, das wir Schritt für Schritt besser kennenlernen können.
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